Glossar

Abschiebung

Eine Abschiebung bezeichnet die unter Zwang herbei geführte Ausreise eines Menschen nicht deutscher Staatsbürgerschaft aus Deutschland. In vielen Fällen findet sie unter Anwendung von polizeilicher Gewalt sowie in Begleitung von Polizeibeamt*innen statt. Ngoso Din wurde 1914 während seiner Bemühungen das politische Anliegen der Douala im Reichstag zu vertreten aus Deutschland abgeschoben. Auch heute noch ist die Abschiebung von Menschen aus Deutschland gängige Praxis. So wurden im Jahr 2019 mehr als 22.000 asylsuchende Menschen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Der häufigste Grund für die Abschiebung von Menschen aus Deutschland ist die Ablehnung ihres Asylantrages durch die Behörden.
2018 haben sich beispielsweise 919 Menschen aus Kamerun um Asyl in Deutschland beworben. Davon wurden 44 Anträge angenommen.Während Europäer*innen problemlos Visen für Kamerun beantragen können, sind die Hürden für Kameruner*innen ein Visum oder gar eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen sehr hoch.

Anlu

Die Kom-Frauen nutzten während ihrer zweijährigen Proteste Strategien des Strafinstruments Anlu. Traditionell werden mit dem Anlu Verstöße gegen Frauen sowie gegen das Wohl der Dorfgemeinschaft geahndet. Über den Ursprung des Anlus gibt es verschiedene Versionen. Weit verbreitet ist die Geschichte von Frauen, die sich während einer kriegerischen Auseinandersetzung mit einem benachbarten Königreich als Männer kleideten und so ihr Dorf verteidigten. Bei dem Strafinstrument, das sich daraus entwickelte, schließen sich alle Frauen eines Dorfes zusammen, um Unrecht, dass einem weiblichen Mitglied der Dorfgemeinschaft angetan wurde, zu bestrafen. Die beschuldigte Person wurde hierbei zunächst mit der Anklage konfrontiert. Sollte sie keine Einsicht zeigen, gab es verschiedene Stufen der öffentlichen Bestrafung. Diese reichten vom Beschmutzen des Hauses der angeklagten Person, über Schimpfreden bis hin zum Entblößen der Genitalien.

Anti-Schwarzer Rassismus

Als Anti-Schwarzen Rassismus bezeichnet man Diskriminierungen, die sich speziell gegen Schwarze Menschen richten. Seine Entstehung ist eng mit dem transatlantischen Sklavenhandel und dem Kolonialismus verknüpft.
Im Zuge des Sklavenhandels wurden zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert Millionen Menschen afrikanischer Herkunft nach Amerika und Europa verschleppt. Das Konstrukt von Afrikaner*innen als “unfrei, unvernünftig, irrational und willenlos” (vgl. Hegel 1986; Wright 2003) diente den europäischen Kolonialmächten, um ihre Überlegenheit zu etablieren sowie ihre “Zivilisierungsarbeit” zu rechtfertigen. Zur Rechtfertigung der Versklavung stützten sich Sklavenhalter*innen zunächst auf die Bibel, die Kolonialmächte später auf pseudo-wissenschaftliche Konzepte (siehe auch Glossar-Begriff “Rassismus“).
Anti-Schwarzer Rassismus ist bis heute weltweit allgegenwärtig. Studien gehen davon aus, dass während der letzten fünf Jahre jede zweite Schwarze Person in Deutschland schon einmal rassistisch beleidigt oder angegriffen wurde.

Besetzung

Nach der offiziellen Enteignung und Umsiedlung im Jahr 1913 weigerten sich viele Douala, ihr Land aufzugeben. Sie kehrten auf ihre Grundstücke zurück und besetzten diese. Mit dieser Taktik gelang es ihnen, den Plan der Stadtteilung über Monate hinweg zu stören.
Die Besetzung von Wohn- und Lebensraum wird immer wieder genutzt, um Widerstand gegen bestehende Eigentums- und Machtverhältnisse zu leisten. Im Südwesten Kameruns besetzten Anwohner*innen 2015 immer wieder einen von Rodung bedrohten Wald. Eine U.S-amerikanische Firma wollte hier Palmölplantagen anlegen. Durch den Widerstand der Einwohner*innen konnte die Abholzung verhindert werden.
Aber auch in Deutschland lassen sich Besetzungen beobachten. Ein aktuelles Beispiel ist die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin, die zwischen 2012 und 2018 von geflüchteten und politisch aktiven Menschen als Wohn- und Begegnungsraum genutzt wurde.

Boykott

Obwohl bereits 1896 ein deutsches Krankenhaus in Douala errichtet wurde, verzichteten viele Douala bald auf eine Behandlung durch die dortigen Ärzt*innen. Ein Hauptgrund für diesen Boykott war die Annahme, dass die Ärzt*innen gezielt Daten für das Malariaargument (siehe auch Glossar-Begriff “Malariaforschung“) der Kolonialregierung sammelten.
Der Boykott des Krankenhauses lässt sich somit als Widerstand gegen die Diskriminierung durch die Kolonialregierung verstehen. Die deutschen Mediziner*innen sorgten sich vorwiegend um die Gesundheit der Kolonialbeamt*innen und betrachteten die Douala oftmals als reine Versuchspersonen. Dies ist ein Grund, weshalb manche Afrikaner*innen der westlichen Medizin bis heute skeptisch gegenüberstehen. Deutlich wird dieses Misstrauen nicht zuletzt in der aktuellen Bewegung “Africa is not a Testing Lab”, die sich gegen den Missbrauch afrikanischer Länder als Versuchsort für Studien zu einem Corona-Impfstoff einsetzt.

Christliche Missionierung

Zum Zeitpunkt der Anlu-Rebellion hatten bereits zahlreiche Menschen im Königreich Kom den christlichen Glauben angenommen. Dies war ein Resultat der Missionsbewegungen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts im heutigen Kamerun Fuß fassten. Das Eintreffen der Kolonialmächte ging oftmals mit der Ankunft von Missionaren einher, die das “Wort Gottes” verbreiten wollten. Neben der Lehre des christlichen Glaubens dienten ihre Missionsstationen auch als erste Krankenhäuser und Schulen. Sie trugen jedoch dadurch auch wesentlich zur Zerstörung der kulturellen Identität einheimischer Bevölkerungsgruppen bei. Die Kolonialmächte nutzten den christlichen Missionsbefehl unter anderem als Rechtfertigung für Landenteignungen.

Colorism

Colorism (von eng. color = Farbe) oder auch Shadeism (von eng. shade = Farbton, Schattierung) bezeichnet das Phänomen, dass Menschen mit einer dunkleren Hautschattierung häufiger von Benachteiligung und Ausgrenzung betroffen sind als Menschen mit einer helleren Hautfarbe. Colorism basiert – wie Rassismus – auf der rassistischen Konstruktion einer Hierarchie der Hautfarben. Jedoch bildet hier allein die Hautfarbe die Grundlage für eine Benachteiligung bzw. Bevorteilung einer Person. Colorism beschreibt also sowohl das Phänomen, dass Schwarze Menschen, die eine hellere Hautfarbe haben, in einem rassistischen System vergleichsweise gesellschaftlich bevorzugt werden (z.B. in Film und Fernsehen). Colorism kann aber auch meinen, dass z.B. innerhalb einer Schwarzen Community Vorstellungen von Schönheit stark an eine hellere Hautschattierung geknüpft ist.

Cross-Dressing

Im Zuge eines AnIu-Rituals tragen die Kom-Frauen häufig Kleidungsstücke, die von der Bevölkerung als “männlich” gelesen werden. Dadurch eignen sie sich auf symbolische Weise die Macht der Kom-Männer an. Historisch wurde das Vertauschen von geschlechtsspezifischer Kleidung immer wieder von Frauen genutzt, um die gesellschaftlichen Freiheiten eines Mannes wahrnehmen zu können. Breite politische Relevanz gewinnt das Cross-Dressing jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn sowohl heterosexuelle und homosexuelle Menschen, wie auch trans* Personen, übertreten zu dieser Zeit zunehmend die bestehenden Kleidungscodes, die sie als Ausdruck einer patriarchalen Geschlechterordnung ablehnen.

Dekolonisierung

Andre Blaise Essama versteht seine Aktionen als direkten Beitrag zur Dekolonisierung des urbanen Raums. Generell meint der Prozess der Dekolonisierung die Auflösung einer globalen kolonialen Ordnung auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Mit seinen zahlreichen Grenz- und Machtverschiebungen stellte das Ende des Zweiten Weltkriegs einen wichtigen Ausgangspunkt für die Dekolonisierung dar. In vielen Kolonien gründeten sich Emanzipationsbewegungen, die sich für die staatliche Eigenständigkeit ihrer Länder einsetzten. 1960 markiert hierbei ein Schlüsseljahr, in dem 18 afrikanische Länder ihre Unabhängigkeit erlangten. Trotz der formalen Unabhängigkeit existieren in vielen Ländern jedoch bis heute koloniale Strukturen auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Deshalb sind die Schaffung selbstständiger Wirtschaftsstrukturen und die Förderung eigener kultureller Identitäten zentrale Ziele gegenwärtiger Dekolonisierungsbewegungen.

Demonstration

Im Zuge ihres Protestes gegen die Kolonialregierung organisierten die Kom-Frauen unter anderem einen Demonstrationsmarsch nach Bamenda. Bis heute gehört das gemeinsame Demonstrieren im öffentlichen Raum zu den wichtigsten Formen der politischen Meinungsäußerung.
In Deutschland ist das Demonstrationsrecht seit 1949 als zentrales Instrument der demokratischen Teilhabe im Grundgesetz verankert und kann von allen Bürger*innen wahrgenommen werden. Durch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future kam es im Herbst 2019 zu einigen der größten Demonstrationen der jüngeren bundesdeutschen Geschichte.

Denkmal

Der kamerunische Aktivist Andre Blaise Essama erlangte durch die Beschädigung des kolonialen Denkmals des französischen Generals Leclerc in Kamerun öffentliche Aufmerksamkeit. Denkmäler sind sichtbare Zeichen im öffentlichen Raum, die auf besonders wichtige Personen oder Ereignisse verweisen. Als zentrale Erinnerungsorte haben sie eine wichtige Funktion für das kollektive Gedächtnis (siehe auch Glossar-Begriff “Kollektives Gedächtnis“) und die kulturelle Identität einer Gesellschaft. So gedenkt etwa das Berliner Mahnmal “Die Frauen der Rosenstraße” dem dortigen Aufstand jüdischer Frauen im Jahr 1943 und ruft zum kritischen Nachdenken über die deutsche Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus auf. In vielen Städten finden sich bis heute jedoch ebenso Denkmäler von Personen, die aktiv an den Verbrechen der Kolonisation beteiligt waren. Sie stehen damit für ein ausbeuterisches und rassistisches Weltbild. Initiativen wie Berlin Postkolonial sprechen sich deshalb aktiv für eine kritische Umgestaltung oder die Entfernung dieser Denkmäler aus.

Diskriminierung

Diskriminierung bezeichnet die Unterdrückung und strukturelle Benachteiligung von Menschen bzw. gesellschaftlichen Gruppen aufgrund bestimmter (zugeschriebener) Merkmale (z.B. der Hautfarbe, des Geschlechts, des sozialen Hintergrunds, u.a.). Diskriminierung kann auf unterschiedlichen Ebenen zum Ausdruck kommen. Zum Beispiel in den Handlungen einzelner Personen (z.B. in beleidigender, ausgrenzender Sprache), in medial vermittelten Normen, Werten und Bildern (z.B. in der herabwürdigenden Darstellung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen in Musik, Film und Werbung) und in Form von Regeln und Gesetzen, die von den Institutionen einer Gesellschaft umgesetzt werden (z.B. die Benachteiligung im Schul- oder Gesundheitswesen). Diskriminierung hat für betroffene Menschen soziale, ökonomische und gesundheitliche Folgen. Sie kann auf verschiedenen Arten und Weisen erlebt werden, z.B. in Form von Ausgrenzung, Marginalisierung, Gewalt, Ausbeutung oder auch durch die Erzeugung von Machtlosigkeit.

Empowerment

„Empowerment“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Selbstermächtigung“. Gesellschaftlich benachteiligte Personen und Gruppen entwickeln Strategien und Instrumente der politischen Selbstbestimmung und des Widerstands gegen vorherrschende Machtverhältnisse. Empowerment-Ansätze zielen darauf ab, durch Prozesse der kollektiven Selbststärkung das eigene Ohnmachtsgefühl angesichts erlebter Unterdrückungs- und Benachteiligungserfahrungen zu überwinden und die eigenen und kollektiven Ressourcen für die (Wieder-)Herstellung politischer Selbstbestimmung zu nutzen.
Der Begriff etablierte sich im Zuge der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der feministischen Frauenrechtsbewegung der 1960er in den USA angesichts rassistischer und sexistischer Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen.
Eine wichtige und in der Geschichte des Widerstands gegen Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen (z.B. im Kontext antikolonialer Widerstandskämpfe) immer wieder angewandte Empowerment-Strategie, ist das Erinnern, Erzählen oder Dokumentieren der ausgeblendeten, verdrängten oder verschwiegenen Perspektiven, Geschichten und Erfahrungen gesellschaftlich marginalisierter Personen und Gruppen.

Enteignungen

Im Zuge der geplanten Teilung der Stadt Douala erließ die Kolonialregierung im Januar 1913 einen Beschluss zur Enteignung von insgesamt 903 Hektar Land. Unter Einsatz vom Militär wurden die Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Die Enteignungswelle führte zu anhaltenden Protesten der Bevölkerung. Die deutsche Kolonialmacht stützte sich auf den Schutzvertrag (siehe auch Glossar-Begriff “Schutzvertrag’) und ihre Befugnis Gesetze zu erlassen. Ein ähnliches Vorgehen war ebenso in vielen anderen Kolonien zu beobachten.
Enteignungen und Umsiedlungen gehörten zu den wichtigsten Werkzeugen der kolonialen Ausbeutung. Diese Eingriffe führten zu zahlreichen Landkonflikten, die sich- wie etwa im Falle der Bakweri in Kamerun – teils bis heute fortschreiben. Die Bakweri wurden von den Deutschen durch zwei Kriege von ihrem Land im Südwesten Kameruns vertrieben. Ihr Land gehört heute zum Teil der kamerunischen Regierung und zum anderen Teil ausländischen Unternehmen. Bis heute gibt es Versuche der Bakweri ihr Land zurückzuerhalten.

Françafrique

Von 1919 bis 1960 gehörte der größte Teil Kameruns dem französischen Kolonialgebiet an. Viele der ehemaligen französischen Kolonien stehen noch heute in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich. Diese politische Einflusssphäre Frankreichs wird allgemein als Françafrique bezeichnet. Das Konzept Françafrique geht zurück auf Charles de Gaulle, der ab 1962 aktiv die französische Einflussnahme in den ehemaligen Kolonien ausbaute. Im Austausch für militärisch-politischen Schutz und finanzielle Sonderleistungen erhielten französische Unternehmen oftmals Zugang zu Ressourcen afrikanischer Länder. Zudem beteiligte sich die französische Regierung in den folgenden Jahrzehnten unter anderem an Wahlmanipulationen, politischen Putschversuchen und militärischen Geheimoperationen. Französische Berater*innen spielen eine entscheidende Rolle in vielen Ministerien der ehemaligen französischen Kolonien. Die französische Politik der Françafrique dauert bis in die Gegenwart an. Viele Staatsoberhäupter der Länder des französischen Einflussgebiets halten sich mit französischer Unterstützung an der Macht.

Intersektionalität

Intersektionalität bezeichnet das gleichzeitige Zusammenwirken von verschiedenen Unterdrückungssystemen, z.B. von Rassismus, Sexismus und Klasse. Der Begriff leitet sich vom englischen Wort “intersection” ab, was so viel wie „Überschneidung“ oder „Schnittmenge“ bedeutet. Er wurde in den 1980er Jahren im Kontext der Schwarzen feministischen Bewegung in den USA von der Schwarzen Juristin Kimberlé Crenshaw zur Beschreibung der spezifischen Diskriminierungserfahrung Schwarzer Frauen eingeführt, die häufig nicht nur aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern gleichzeitig auch wegen ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Klassenzugehörigkeit Unterdrückung und Benachteiligung in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft erleben. Eine intersektionale Perspektive auf Diskriminierung einzunehmen bedeutet also anzuerkennen, dass Menschen verschiedene Eigenschaften und Identitäten in sich vereinen und oft wegen mehreren Aspekten ihrer Identitäten benachteiligt werden.

Kollektives Gedächtnis

Die Aktionen Andre Blaise Essamas werfen vielfältige Fragen nach der Rolle der Kolonialgeschichte innerhalb des kollektiven Gedächtnisses auf. Als kollektives Gedächtnis bezeichnet man die gemeinsame Erinnerungsleistung einer sozialen Gruppe oder einer ganzen
Gesellschaft. In den 1920er-Jahren wies der Soziologe Maurice Halbwachs darauf hin, dass es neben den persönlichen Erinnerungen auch ein kollektives Gedächtnis gibt. Dieses beruht auf den gemeinsamen Erinnerungsnarrativen einer Gesellschaft und ist somit zentral für deren Selbstbild. Allerdings unterliegt nicht zuletzt das kollektive Gedächtnis einem Verdrängungsprozess, in dem negative Erinnerungen- wie etwa Kriegsverbrechen -ausgeklammert werden. So spielt in der deutschen Erinnerungskultur etwa die eigene Kolonialvergangenheit bis heute eine untergeordnete Rolle. Deshalb setzen sich Initiativen wie Berlin Postkolonial aktiv für einen kritischen Umgang mit dem Erinnerungsnarrativ des kolonialen Erbes ein.

Koloniale Landwirtschaft

Ein entscheidender Auslöser für die Proteste in Kom waren die neuen Landwirtschaftsgesetze der britischen Kolonialregierung. Diese wurden von den Frauen als Angriff auf ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre traditionelle Lebensweise verstanden.
Als Lieferant für Rohstoffe kam der Landwirtschaft in den Kolonien eine zentrale Rolle zu. Deshalb versuchten die Kolonialregierungen durch den Aufbau von Plantagen für Exportprodukte wie Kaffee, Palmöl, Kakao, Zucker, Bananen etc., sowie die Einführung neuer Anbaumethoden die landwirtschaftliche Produktivkraft zu steigern. Das ging mit Zwangsrekrutierungen, Enteignungen und dem Verbot traditioneller Anbauweisen einher.
In den meisten afrikanischen Ländern dominiert diese Art von Exportwirtschaft bis heute. Das Schema der kolonialen Ausbeutung ist in vielen Produktionsketten nach wie vor sichtbar: So sind die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen in Afrika häufig sehr prekär und ein Großteil der Gewinne fließt an europäische Unternehmen.

Kolonialismus

Als Kolonialismus bezeichnet man die gewaltvolle Besetzung, Verdrängung, Unterdrückung, Auslöschung und Versklavung von Territorien und Gesellschaften. Als Beginn des Kolonialismus wird gemeinhin die Ankunft von Europäer*innen im heutigen Nordamerika im 15. Jahrhundert und die darauf folgende Verdrängung und teilweise Auslöschung einheimischer Gesellschaften gesehen. Koloniale Strukturen wurden von Europäer*innen in den folgenden Jahrhunderten nicht nur in Amerika, sondern auch in Afrika, in Asien und im Pazifischen Raum etabliert. Ihren Höhepunkt erreichte die koloniale Expansion im Zuge der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Politische und ökonomische Strukturen wurden durch koloniale Grenzziehungen zerstört und Glaubenssysteme unterdrückt. Ihre kolonialen Projekte legitimierten die Europäer durch rassistische Ideologien, welche die Unterlegenheit nicht-europäischer Gesellschaften belegen sollten und die sogenannte „Zivilisierungsmission“ der Europäer rechtfertigen. Durch diese Ideologien wurde der Kolonialismus gleichzeitig fest im Welt- und Selbstbild europäischer Gesellschaften verankert.
Die Kolonisierung vollzog sich jedoch nicht ohne den Widerstand der lokalen Bevölkerung. Von Anfang an lehnten sich Menschen gegen die Kolonialmächte auf und forderten politische Selbstbestimmung und das Ende der Fremdherrschaft ein. Mit der Unabhängigkeit der ehemals kolonialisierten Staaten Afrikas in den 1960er Jahren endete die Kolonialzeit offiziell – koloniale Strukturen im globalen Finanz- und Wirtschaftssystem und kolonialrassistisches Denken fanden hier jedoch keineswegs ein Ende (siehe Neokolonialismus).

Kolonialsoldaten

Allein für die französische Armee kämpften während des Zweiten Weltkriegs etwa eine Million afrikanische Kolonialsoldaten. Ein Großteil dieser von Frankreich als „Senegalschützen” (Tirailleurs senegalais) bezeichneten Soldaten wurde in den Kolonien zwangsrekrutiert. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten die europäischen Kolonialmächte in ihren Kolonien militärische Hilfseinheiten ein. Diese Truppen setzten sich aus Gefangenen. Söldnern und Zwangsrekrutierten zusammen. Ihre Hauptaufgabe war die Verteidigung der Kolonie gegen Aufstände und Übergriffe anderer Kolonialmächte. Im Deutsch-Französischen Krieg und während der beiden Weltkriege wurden sie jedoch ebenso an der Front in Europa eingesetzt. Die hohen Sterberaten legen nahe, dass die Kolonialsoldaten oftmals an besonders aussichtslosen Kampfeinsätzen teilnehmen mussten. Zudem wurden sie Opfer zahlreicher Kriegsverbrechen. Obwohl mehrere hunderttausend afrikanische Soldaten in den Weltkriegen fielen, wird ihre Leistung bis heute kaum öffentlich gewürdigt.

Malariaforschung

Zur angeblichen Malariabekämpfung wollte die deutsche Kolonialmacht die Stadt Douala ab 1910 in zwei getrennte Viertel für die weißen und schwarzen Einwohner*innen unterteilen. Dies führte zwischen 1912 und 1914 zu zahlreichen Enteignungen der Douala-Bevölkerung.
Die Idee einer solchen räumlichen Trennung geht zurück auf den Kolonialarzt Hans Ziemann, der vor allem die angeblich fehlende Hygiene der einheimischen Bevölkerung für das hohe Malariarisiko verantwortlich machte. Damit stellte sich Ziemann gegen den Tropenarzt Robert Koch, der andere Faktoren für maßgeblich hielt und eine experimentelle Behandlung mit Chinin befürwortete. Die Malaria-Debatte gilt als wichtiges Beispiel für die rassistische Vereinnahmung von Gesundheit und Hygiene innerhalb der kolonialen Wissenschaft.

N-Wort

Während des Aufenthaltes von Ngoso Din in Berlin hetzte die deutsche Presse gegen den politischen Widerstand der Douala. Dabei beschimpften mehrere Zeitungen Ngoso Din unter anderem mit dem rassistischen N-Wort.
Seine Ursprünge hat das N-Wort in dem lateinischen Begriff “niger”, welcher für die Farbe “Schwarz” steht. Doch ab dem 18. Jahrhundert wurde das N-Wort gezielt genutzt, um Schwarze Menschen abzuwerten und ihnen vermeintliche Eigenschaften zuzuschreiben: “Der “N” ist primitiv, animalisch, ignorant, faul, unrein, chaotisch usw.” (vgl. Kilomba, 2019). Das N-Wort ist direkt mit der Geschichte der Versklavung und des Kolonialismus verbunden und diente dazu weiße Herrschaft zu legitimieren (siehe auch den Glossar-Begriff “Anti-Schwarzer Rassismus”).
Trotz dieser rassistischen Bedeutung verwendete der AfD-Politiker Nikolaus Kramer das N-Wort 2019 mehrere Male in einer Landtagsdebatte. Seither setzt sich eine Petition dafür ein, dass das N-Wort rechtlich als Beleidigung anerkannt wird.

Neokolonialismus

Die Geschichte von Andre Blaise Essama verweist darauf, dass auch unsere Gegenwart noch immer von Formen des Kolonialismus geprägt ist. Diese kolonialen Kontinuitäten werden allgemein unter dem Begriff “Neokolonialismus” zusammengefasst. Obwohl ein Großteil der afrikanischen Kolonien während der 1960er-Jahre ihre Unabhängigkeit erlangten, werden die meisten Wirtschaftssysteme dieser Länder bis heute von westlichen Konzernen dominiert. Gestützt wird dieser Neokolonialismus durch Handelsabkommen, von denen vor allem die westlichen Länder profitieren. Auch die Schaffung von Abhängigkeiten durch Kredite und Investitionsversprechen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die direkte Ausbeutung durch den historischen Kolonialismus wird im Neokolonialismus somit durch eine indirekte Ausbeutung abgelöst. Besonders deutlich wird das Auftreten neokolonialer Tendenzen etwa im Kontext der Landaneignung. So schätzen Expert*innen, dass sich die reichen Industrienationen zwischen 2000 und 2014 etwa 21 Millionen Hektar Land in Afrika angeeignet haben.

Oberhäuptling

Das Wort „(Ober-)Häuptling“ ist im Kontext kolonialrassistischer Vorstellungen über die gesellschaftspolitischen Systeme nicht-europäischer Gesellschaften entstanden. Es ist eine undifferenzierte Sammelbezeichnung für die politischen Machthaber*innen und Politiker*innen kolonisierter Gesellschaften. Das Suffix „-ling“ zeigt eine Verkleinerungsform an, die einerseits eine Hierarchie zwischen der*dem Sprecher*in und der*dem Bezeichneten markiert (die Möglichkeit einer weiblichen Machthaber*in wird in der männlichen Form des Worts ausgeschlossen), aber auch eine deutliche Abwertung zum Ausdruck bringt.

Parodie

Während der Anlu-Rebellion parodierten die Kom-Frauen die britischen Kolonialbeamt*innen in ihrer Art zu sprechen. Als Parodie bezeichnet man die Nachahmung einer Person oder Sache, wobei diese auf eine übertriebene und verzerrte Weise dargestellt wird. Parodien entfalten deshalb oftmals eine kritisch-komische Wirkung.

Ursprünglich wurden Parodien vor allem im Theater genutzt, um eine Kritik an den herrschenden politischen Verhältnissen zu üben. Durch ihren mehrdeutigen Charakter können Parodien sowohl zur Formulierung einer versteckten Kritik wie auch zum absichtlichen Bruch mit gesellschaftlichen Tabus dienen. Indem Parodien Missstände in überspitzter Form anprangern, rufen sie zugleich zu deren Beseitigung auf.
Im Juni 2020 wurde ein selbstgedrehtes Video des Komikers Munya Chawawa in Großbritannien millionenfach verbreitet, in dem er die mediale Darstellung der Black Lives Matter-Proteste parodierte. Damit übte er Kritik an der rassistischen Berichterstattung der britischen Medien.

Petition

1914 konnten die Douala durch eine Petition an den Deutschen Reichstag kurzfristig bewirken, dass die rassistischen Enteignungen in Douala gestoppt wurden. Heute stehen Petitionen allen Menschen offen, die eine Bitte oder Beschwerde haben und diese auf die politische Agenda setzen wollen.
Eine Petition muss schriftlich an eine staatliche Stelle- wie etwa den Bundestag- gerichtet werden. Dort wird das Anliegen im Petitionsausschuss geprüft. Allerdings sind die staatlichen Stellen nicht automatisch dazu verpflichtet, die jeweiligen Forderungen auch zu bewilligen. Um einer Petition mehr Nachdruck zu verleihen, werden deshalb oftmals möglichst viele Unterschriften gesammelt. Aktuell gibt es beispielsweise eine Petition gegen das “N-Wort”, welche fordert, die rassistische Bedeutung des Begriffs rechtlich anzuerkennen und als Beleidigung einzutragen. Mehr als 150.000 Menschen haben die Petition bereits unterschrieben.

Rassismus

Die Teilung der Stadt Douala wurde von der deutschen Kolonialmacht medizinisch begründet, doch das Vorhaben beruhte auf Rassismus. Der ab dem 19. Jahrhundert durch einige Wissenschaftler*innen verbreiteten – obwohl wissenschaftlich widerlegten Vorstellung es existierten unterschiedliche “Menschenrassen”. Die europäischen Wissenschaftler*innen versuchten, Menschen anhand ihrer Körpermerkmale in “Rassen” einzuteilen. Ziel war es, die Überlegenheit der “weißen Rasse” zu beweisen. Das Konzept diente dazu, Kolonialherrschaft Dominanz, sowie die Ausbeutung von Ressourcen durch den Westen zu legitimieren. Rassismus ist bis heute ein weltweites Problem, das zur Unterdrückung bis hin zur Ermordung von nicht-weißen Menschen führt. Rassismus kann in vielerlei Formen in Erscheinung treten: z.B. als institutionelle Diskriminierung durch Behörden, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder durch alltägliche Entwürdigungen. Auch in der aktuellen Debatte über Polizeigewalt an Schwarzen Personen spielt Rassismus eine zentrale Rolle.

Schutzvertrag

Im Juli 1884 unterzeichneten mehrere Douala Könige einen „Schutzvertrag” mit dem deutschen Kaiserreich. Durch diesen wurde das Gebiet der Douala offiziell dem Schutz der deutschen Regierung unterstellt. Das Abkommen sah vor, dass die Douala im Besitz ihres Landes blieben, die Gesetzgebung und Verwaltung jedoch an das Deutsche Kaiserreich überging. Mit der Unterzeichnung solcher „Schutzverträge” erhofften die afrikanischen Unterzeichner*innen gewinnbringende Handelsbeziehungen und Schutz gegen Feinde. Die Kolonialmächte erlangten hingegen das Recht, in den Gebieten Gesetze und Steuern einzuführen. Statt Sicherheit zu gewähren, führten „Schutzverträge” zur gezielten Ausbeutung der Bevölkerung. Relativ schnell brach die deutsche Kolonialmacht mit den Vertragsgrundlagen, verfolgte vor allem von Rassismus geprägte wirtschaftliche sowie machtpolitische Interessen und führte zahlreiche Kolonialkriege.

Schwarz- und Weißsein

Schwarz-Sein mit großem „S“ und weiß-Sein mit kleinem „w“ bezeichnen keine biologischen Eigenschaften oder tatsächliche Hautfarben, sondern markieren die Positionierung einer Person in einem von Rassismus geprägten Gesellschaftssystem (also in allen Gesellschaften).
Mit weiß-Sein ist die dominante und als Norm verstandene Position im System Rassismus gemeint, die in der Regel unbenannt und damit unsichtbar bleibt. Mit der Verwendung des Begriffs weiß bzw. weiß-Sein wird dem Umstand Rechnung getragen, dass weiß-Sein weiße Menschen in ihrem Selbstverständnis und in ihrem Verhalten prägt und ihnen viele Vorteile und Privilegien verschafft (z.B. automatisch und unhinterfragt als der Gesellschaft zugehörig betrachtet zu werden).
Schwarz oder Schwarz-Sein ist die Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer oder afrodiasporischer Herkunft, Schwarzen Menschen, Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder People of Color. Die Selbstbezeichnung Schwarz ist dabei als Kennzeichnung einer gesellschaftspolitischen Positionierung in einer weißen Dominanzgesellschaft und als aktiver Bruch mit rassistisch konnotierten Fremdzuschreibungen zu verstehen. Das großgeschriebene „S“ symbolisiert einen Akt der Selbstermächtigung (Empowerment), in dem die individuelle oder kollektive Erfahrung des Schwarz-Seins sichtbar gemacht wird.

Sexismus

Sexismus/Heterosexismus bedeutet jede Art der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts und/oder ihres sexuellen Begehrens. Sexistische und heterosexistische Diskriminierung basieren auf einem Denk- und Verhaltenssystem, das nur heterosexuelles Begehren und zwei Geschlechter (Mann/Frau) anerkennt und in dem die (cis-)männliche Position als Norm verstanden wird. Die Vorsilbe cis- bedeutet, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht einer Person mit ihrer gelebten geschlechtlichen Identität übereinstimmt.
Sexismus/Heterosexismus richtet sich gegen Frauen, Weiblichkeit, Lesben, Schwule, trans*Personen, intergeschlechtliche, bisexuelle und nicht-binäre geschlechtliche Identitäten. Das Spektrum sexistischer und heterosexistischer Diskriminierung ist groß. So ist zum Beispiel die Tatsache, dass Frauen im Schnitt 20% weniger verdienen als Männer, ein Resultat sexistischer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Sexismus kann aber auch in Form von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt auftreten.

Vulva

Mitunter entblößen die Kom-Frauen während eines Anlu-Rituals öffentlich ihre Geschlechtsteile. Die äußeren und damit sichtbaren Bereiche des weiblichen Geschlechts werden allgemein als „Vulva“ bezeichnet.
Aus medizinischer Sicht umfasst die Vulva den Scheidenvorhof, die Schamlippen und die Klitoris. Sie umgibt somit die im weiblichen Körper liegende Vagina sowie die Harnröhre. Auch heute noch ist das Zeigen der Vulva unter dem Namen Takumbeng in Kamerun eine genutzte Protestform, mit der insbesondere ältere Frauen im Süd- und Nordwesten des Landes ihren Unmut über ernsthafte Probleme ausdrücken.
Eine entblößte Vulva wird auch in vielen anderen Gesellschaften als Form des Protests eingesetzt. So nutzte beispielsweise die britische Fraueninitiative „Labia Pride“ hunderte von ganz unterschiedlichen Vulven in einer Foto-Kampagne, um auf die gesellschaftlichen Stigmatisierungen des weiblichen Geschlechts hinzuweisen.

Widerstand

Douala Manga Bell, André Blaise Essama und die Anlu-Rebellion stehen für unterschiedliche Formen des antikolonialen Widerstands. Allgemein lassen sich unter dem Begriff „Widerstand“ alle individuellen und kollektiven Bestrebungen zusammenfassen, die sich für die Änderung eines bestehenden Herrschaftssystems einsetzen.
Jede Herrschaft basiert auf einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung, die durch Gesetze gesichert ist. Ein Widerstand gegen diese Herrschaft entsteht vor allem in Situationen, in denen sich Menschen von dieser Ordnung unterdrückt oder ungerecht behandelt fühlen. Der Widerstand kann sich dabei erlaubter und unerlaubter Mittel bedienen. Während in Deutschland etwa Demonstrationen als legaler Protest gelten, ist gewalttätiger Widerstand gesetzlich verboten.

Ziviler Ungehorsam

Für ihren Protest bedienten sich die Kom-Frauen unterschiedlicher Formen des zivilen Ungehorsams. Allgemein lassen sich darunter zumeist gewaltfreie Aktionen zusammenfassen, mit denen aus politischen Gründen bewusst gegen rechtliche Normen verstoßen wird.
Zu den bekanntesten Beispielen für zivilen Ungehorsam während des 20. Jahrhunderts zählen Martin Luther King Jr. (1929–1968) und der Kampf für die Bürgerrechte der Afroamerikaner*innen in den USA, sowie Mahatma Gandhis (1869–1948) Protestaktionen gegen die britische Kolonialmacht in Indien.
Im Artikel 20 des Grundgesetzes ist festgelegt, dass bei einer Gefahr für die demokratische Ordnung, „alle Deutschen das Recht auf Widerstand haben, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Unter Berufung auf diesen Artikel besetzten geflüchtete Menschen in den vergangenen Jahren zum Beispiel zahlreiche öffentliche Plätze, um auf die restriktive Asylpolitik aufmerksam zu machen.